Am 10. Juni 2010 war vom Bundesarbeitsgericht der „Fall Emmely“ zu entscheiden, ein Rechtsstreit, der in der gesamten Bundesrepublik intensiv diskutiert wurde. Die Arbeitnehmerin, eine Kassiererin in einem Einzelhandelsunternehmen, hatte zwei nicht abgezeichnete Leergutbons im Wert von 0,48 € sowie 0,82 € gefunden und diese dem Filialleiter vorgelegt. 10 Tage später löste sie zwei Leergutbons mit gleichem Wert bei einem privaten Einkauf an der Kasse ein, wobei die zuvor von ihr vorgelegten Bons nicht mehr auffindbar waren. Der Arbeitgeber sprach schließlich nach mehreren Personalgesprächen eine außerordentliche fristlose Verdachtskündigung aus. Mit der gegen diese Kündigung gerichteten Klage unterlag die Arbeitnehmerin in den ersten beiden Instanzen. Erst das Bundesarbeitsgericht erklärte die ausgesprochene Kündigung für rechtswidrig bzw. unwirksam.

Der „Fall Emmely“ ist kein Einzelfall. Ein aus der Sicht Dritter sich zumeist als Bagatellangelegenheit darstellender Sachverhalt kann schnell kündigungsrelevant werden. Ein gutes Beispiel hierfür ist auch der sogenannte „Bienenstichfall“ aus dem Jahr 1984. Eine 27 Jahre alte Verkäuferin, die als Buffetkraft im Warenhaus arbeitete, war von einer Kontrollverkäuferin dabei beobachtet worden, wie sie sich ohne Bezahlung ein Stück Bienenstichkuchen aus dem Warenbestand nahm und hinter der Bedienungstheke verzehrte. Das Arbeitsverhältnis wurde – ohne dass die Arbeitnehmerin zuvor wegen eines ähnlichen Geschehens abgemahnt war – außerordentlich fristlos gekündigt.

In einem anderen Fall ist bei der Mitarbeiterin einer Drogeriekette im Rahmen einer Personalkontrolle ein Lippenstift der Marke „Jade Forever Metallic“ aufgefunden worden. Sie behauptete, es handele sich um einen sog. Tester, bei denen es erlaubt gewesen wäre, sie mitzunehmen. Auch hier klagte die Arbeitnehmerin gegen ihre Entlassung.

Allen drei vorstehend aufgeführten Fällen ist gemein, dass die Arbeitnehmer allenfalls einen geringfügigen Schaden herbeigeführt hatten. Das Bundesarbeitsgericht wiederholt jedoch in ständiger Rechtsprechung, dass auch die rechtswidrige und schuldhafte Entwendung einer im Eigentum des Arbeitgebers stehenden Sache von geringem Wert an sich geeignet ist, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung abzugeben. Ob ein solches Verhalten ausreicht, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen, soll dann jedoch von einer unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls vorzunehmenden Interessenabwägung abhängig sein.

Dies bedeutet zunächst, dass ein Kündigungsgrund immer dann gegeben ist, wenn der Arbeitnehmer eines Vermögensdelikts überführt wird bzw. ein entsprechend begründeter Verdacht besteht. Die Geringfügigkeit der verursachten Schädigung ändert hieran nichts. Sie ist jedoch bei der durchzuführenden Interessenabwägung neben anderen Kriterien, etwa der Stellung des Arbeitnehmers, der Art der entwendeten Ware, den Verhältnissen im Betrieb, der Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreiem Verlauf, der möglichen Wiederholungsgefahr und dem Grad des Verschuldens, relevant.

Im „Fall Emmely“ betonte das Bundesarbeitsgericht, dass eine außerordentliche Kündigung nur dann in Betracht kommt, wenn es keinen angemesseneren Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Es sah sodann die Abmahnung als nicht entbehrlich an. Zwar hatte sich die Klägerin bewusst gegen eine Anordnung des Filialleiters gestellt. Auch ging das Gericht von einer schweren Erschütterung des Vertrauensverhältnisses zum Arbeitgeber aus, da sich dieser bei einer Kassiererin auf deren Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit verlassen müsse. Allerdings hatte sie über dreißig Jahre beanstandungsfrei gearbeitet. Daher könne nicht angenommen werden, so das Gericht, dass die Vertrauensbeziehung vollständig und unwiederbringlich zerstört wäre. Ihr Verschulden wiege auch deshalb nicht so schwer, weil sie ihr Verhalten – fälschlich – als notfalls tolerabel oder jedenfalls korrigierbar eingeschätzt habe. Ihr Handeln sei zudem nicht auf Heimlichkeit angelegt gewesen.

Insgesamt wird deutlich, dass die Beurteilung der Frage, ob ein Bagatelldelikt eine außerordentliche fristlose Kündigung rechtfertigt, nicht einfach ist. Maßgeblich sind insoweit eine Vielzahl von Einzelumständen.

Einem Arbeitnehmer, der von einer Kündigung betroffen ist, muss geraten werden, sich bezüglich des weiteren Vorgehens und der Erfolgsaussichten einer Klage fachkundig beraten zu lassen. Ein Anwalt kann die bestehende Sach- und Rechtslage objektiv und sachgerecht beurteilen sowie die Interessen des Mandanten wahrnehmen. Hier darf nicht gezögert werden, denn eine Kündigungsschutzklage ist nur innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung möglich.

Der Arbeitgeber, dem ein deliktisches Verhalten eines Mitarbeiters offenbar wird, sollte bereits vor der Einleitung weiterer Schritte anwaltlichen Rechtsrat einholen. Neben der Beurteilung der Frage, ob eine außerordentliche Kündigung möglich ist oder vielmehr eine Abmahnung oder ordentliche Kündigung ausgesprochen werden muss, sind nicht selten weitere Umstände zu beachten. Ist im Betrieb etwa ein Betriebsrat vorhanden, ist dieser zuvor anzuhören. Wenn ein schwerbehinderter Arbeitnehmer betroffen ist, muss die Zustimmung des Integrationsamtes eingeholt werden. Liegt diese schließlich vor, hat die außerordentliche Kündigung unverzüglich, also „turbo“, zu erfolgen. Ein Rechtsanwalt kann in dieser Situation quasi als externe Rechtsabteilung eine optimale Vorgehensweise sicherstellen und Probleme zügig einer entsprechenden Lösung zuführen.

Claudia Fischer

Rechtsanwältin und Angestellte der

Rechtsanwälte Alexander Troll & Ivo Sieber

Nachtrag:

Ein gegen das Vermögen des Arbeitgebers gerichtetes Delikt stellt auch der Spesen- und Arbeitszeitbetrug des Arbeitnehmers dar, etwa wenn ein Außendienstmitarbeiter die vertraglich vereinbarte Verpflegungs- und Übernachtungspauschale geltend macht, ohne dass die vertraglich ebenfalls niedergelegten Voraussetzungen hierfür gegeben sind. Dies behauptete etwa ein Arbeitgeber von seinem Gebietsverkaufsleiter im Verkaufsaußendienst für Herzklappen. Das Bundesarbeitsgericht gab hier in seinem Urteil vom 06.09.2007 dem Arbeitnehmer Recht, allerdings vor allem deshalb, weil der Arbeitgeber keine Indizien vortragen und beweisen konnte, die geeignet gewesen wären, den dringenden Tatverdacht zu begründen.

Auch eine hessische Kommune konnte vor Gericht keine ausreichenden Indizien für ein Vermögensdelikt zu ihren Lasten durch einen als Kraftfahrer beim Entsorgungsbetrieb beschäftigten Mitarbeiter vortragen. Sie hatte nämlich vermutet, dieser Mitarbeiter würde bei der Fahrt mit den städtischen Müllfahrzeugen vorsätzlich und in kollusivem Zusammenwirken mit Unfallgegnern Verkehrsunfälle herbeiführen.